Einen Tag vor der Kapitulation Deutschlands am 7. Mai 1945 schreibt die 37jährige Autorin in einem Brief an ihren Mann, Anstaltsdirektor der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Königslutter am Elm, der sich in russischer Gefangenschaft befindet: „Ich habe heute das Führerbild blutenden Herzens abgenommen. “ In diesen Tagebuch-Briefen, die im Nachlass der überzeugten Nationalsozialistin und Antisemitin gefunden werden, berichtet die Mutter von vier Kindern über die Lebensumstände der siebenköpfigen Familie, die durch Einquartierung und Versorgungslage erschwert sind. Sie schildert anschaulich die Atmosphäre nach dem „Zusammenbruch“ in der niedersächsischen Kleinstadt, die geprägt ist von Verunsicherung, Denunziantentum, Gerüchten und „Angst vor den Russen“. Die Aufzeichnungen sind eine bedrückende Hinterlassenschaft, die vom Einsender, dem jüngsten Sohn, mit folgendem Nachsatz kommentiert werden: „Sie hatte – wie so viele Mitläufer – keine Möglichkeit diesen Identitätsbruch zu verarbeiten. So entstand in unserer Familie wie in so vielen deutschen Familien in Bezug auf die Vergangenheit das große Schweigen. “